Marja Marlene Lechner
Open The Gate 11/06/22 — 07/08/22 Eröffnung: 10/06/2022, 19 Uhr
Musikalische Performance zur Eröffnung um 19.30 UHR




© Marja Marlene Lechner, 2022








© Marja Marlene Lechner, FAK'22




Nachdem Sie das Tor geöffnet haben. Betreten Sie einen Raum.
Es ist eine Ausstellung. Die Ausstellung einer Künstlerin.
Die Künstlerin heißt Marja Marlene Lechner, aber das wußten
Sie vielleicht schon vorher. Sie benutzt manchmal das Kürzel
MML für sich selbst, das mag ich, es klingt wie eine Marke
und irgendwie ist es das ja auch.

Eine Marke funktioniert einerseits symbolisch in unserer
Vorstellung und ist andererseits ganz konkret an Gegenständen
und an konkreten Zuschreibungen wie etwa ihrem monetären Wert
verhaftet. Die Kunst von MML arbeitet vom Prinzip her ähnlich,
sie kann gewohnte Sichtweisen herausfordern und sie zwischen dem
Alltäglichen und der Abstraktion wandeln lassen. Durch ihre
Collagetechnik hat jedes Material einen eigenen Wert und eine
Berechtigung, jeder Einsatz ist präzise und dezidiert.
So entstehen viele kleine Verbindungen, die sich teilweise
gegeneinander brechen, teilweise verwoben sind.
Und am Ende befnden wir uns auf wundersame Weise in einer
eigenen Welt: Die Welt in der Zustände gleichzeitig bestehen
können. In der es eine spielerische Ernsthaftigkeit gibt.
In der auch Inhalte gleichzeitig existieren können, in der
ihnen gegebenen Form, in der für sie evozierten Atmosphäre,
in ihrer Beschäftigung mit Existenz.

Ein kleines Beispiel für parallele Zeitlichkeit: Sind Sie
jetzt wirklich hier? Ich meine hier in der Ausstellung?
Ich frage das aus der Vergangenheit heraus, in die Zukunft
hinein, meine aber Ihre Gegenwart. Was erfahren Sie gerade?

Material kann auch in Koinzidenz sein. MML erweitert den formal
gegenständlichen, skulpturalen Materialkanon von MDF, Holz,
Glas, Plexiglas, Draht, Gips, Spiegel, Stof um Sprache, Geräusche,
Musik, Zeichnungen, Ausdrucke. Gleichzeitig transportieren diese
Atmosphäre, Themen, Gefühle und Theorie. Vielleicht geht es in
einer letzten Konsequenz um den gleichen Augenblick von Sein
und Nicht-Sein.

Hören Sie etwas? Den Anfang oder das Ende einer Geschichte?
Die beiden Personen sind auf der Flucht. Es regnet aus den
Löchern ihrer Tassen. Sie sind imstande zu gehen, sie gehen,
es regnet, sie bewegen sich nicht vom Fleck. Ihre spärlichen
Habseligkeiten, ihr kaputtes Geschirr haben sie an einen toten
Baum gehängt und ziehen ihn mit sich mit. Aber sie sind nicht
allein, sie spenden sich mit ihrer Gesellschaft Trost.
Komm, wir müssen weiter.

Es ist eine spezifsche Fragilität, die diese Verbindungen
ausmacht, die Zerbrechlichkeit genauso wie Wachstum beinhaltet.
MMLs Arbeiten sind Teil einer anhaltenden Beschäftigung, deren
Endzustand nicht die Abgeschlossenheit bedeutet. Wieder werden
zwei Zustände zeitlich vereinbart, ohne sie zu einer Festlegung
zu zwingen.

Eine Frau ist aus zwei Perspektiven dargestellt. Ihre Körperteile
entsprechen einem normschönen Standard, doch ist sie verdreht
und so dünnhäutig, dass sie sich bis auf die Muskelstränge schält.
Sie wird gesäumt von faltigen Händen, noch ist ihre eigene
Vergänglichkeit nicht erkennbar aber präsent. Daneben eine
Spiegelarbeit, die den Blick zurückwirft.

Konditionen des Körpers werden nebeneinander gestellt und es
ist nicht abzusehen, ob diese Parallelität sich auföst und zu
sukzessiven Prozessstufen entwickeln wird. Während sich der
betrachtende Blick an dem Moment abarbeitet, wird er bereits
durch den Spiegel zurückgeworfen.

Es gibt einen Wohnraum mit Wänden aus Plexiglas. Haben Sie
durch die durchsichtigen Wände gelinst? Ist das noch privat?

Und so werden auch die transparenten Materialien zu Trägerinnen
der Simultaneität: das Heimliche wird offensichtlich und bleibt
dennoch als heimlich gekennzeichnet. Am Ende versteckt sich MML
hinter ihren Zimmerpfanzen und ist zu ihrem eigenen Material aus
ihrer eigenen Arbeit geworden, ohne die Kontrolle abgegeben zu haben.

Ein gläserner Brunnen plätschert, seine Sekt-Flöten füllen sich
immer wieder mit dem Lebenselixier Wasserwie bei einer lebenslangen
existenziellen Party. Die Kunstwerke stoßen auf sie an, auf sich an,
auf die gelungene Ausstellung. Sie lebten bereits vor ihrer Eröffnung
in Autonomie.


Fid. Fischer


© Marja Marlene Lechner, FAK'22

 

 

 

Marja Marlene Lechner ist Künstlerin (geb.1989, Berlin). Sie studierte an der Universität der Künste Berlin und an der Listaháskóli of fine Arts in Island von 2010-2016 Bildende Kunst.
Sie zeigt ihre Arbeiten in Ausstellungen, im Radio, in Konzerten, auf Bühnen, im Park, im Internet und in Büchern, auf CDs, Kassetten und Vinyl. Sie arbeitet interdisziplinär mit Skulpturen und Zeichnungen, mit Musik, Gesang, Sprache und Performance. 2015 wurde sie mit dem Preis der Ursula-Hanke-Förster Stiftung für Bildhauerei ausgezeichnet und 2017 mit dem Stipendium der Dorothea-Konwiarz-Stiftung für Malerei. 2020 erhielt sie das Sonder-Stipendium für Kultur und Europa Berlin.

Ihre Arbeiten waren in zahlreichen Ausstellungen zu sehen unter anderem 2022 in OPEN THE GATE, FAK-Förderverein Aktuelle Kunst, Münster (solo), Home Tripp’n, works in dialogue with the Klosterfelde Collection, Galerie Klosterfelde Edition, Hamburg (group), SCHRANK SCHRANK, Galerie OelFrüh, Hamburg (group), 2020 in Böser Schrank, Jason Platform, Kopenhagen (solo), mit der Band „Zigaretten rauchen“(ice cigarettes), Volksbühne, Grüner Salon, Berlin u.v.m. Sie lebt und arbeitet in Berlin.


Marja Marlene Lechner is an artist (b. 1989, Berlin). She studied fine arts at the Berlin University of the Arts and at the Listaháskóli of fine Arts in Iceland from 2010-2016. She shows her work in exhibitions, on the radio, in concerts, on stages, in the park, on the internet and in books, on CDs, cassettes and vinyl. She works interdisciplinary with sculptures and drawings, with music, singing, language and performance. In 2015 she was awarded with the Ursula Hanke Förster Foundation prize for sculpture and in 2017 the Dorothea Konwiarz Foundation grant for painting. In 2020 she received the special scholarship for culture and Europe Berlin.

Her work has been shown in numerous exhibitions, including 2022 in OPEN THE GATE, FAK-Förderverein Aktuelle Kunst, Münster (solo), Home Tripp’n, works in dialogue with the Klosterfelde Collection, Galerie Klosterfelde Edition, Hamburg (group), SCHRANK SCHRANK, Galerie OelFrüh, Hamburg (group), 2020 in Böser Schrank, Jason Platform, Copenhagen (solo), with the band “Zigaretten rauchen” (ice cigarettes), Volksbühne, Grüner Salon, Berlin and many more. She lives and works in Berlin.

 

 

© Marja Marlene Lechner, Ausstellungsansicht FAK’22 





FAK'22 Öffnungszeiten Fr — So 16 — 19 Uhr (Eintritt frei) Kuratiert von Kristina Jurotschkin und Florian Glaubitz