Max Bodenstedt 

Eine Hosentasche voller Regenwasser  
07/05/22 — 29/05/22 Eröffnung: 29/05/2022, 19 Uhr

Buchpräsentation zur Finissage am 29.Mai 2022, 17 Uhr


 

 

Ein Jahr, immer wieder. Und jetzt, im Alltag, das Außen beobachtend, schwirren Fliegen durchs Leben und sehen einen sich schälenden Baum. Allzu bekanntes reiht sich: Straßen, Pfützen, kriechendes, verwelktes und leuchtendes, zurückreflektierend zu nicht nachvollziehbaren Blickpunkten. Bei ‚Eine Hosentasche voller Regenwasser‘ versammeln sich die Dinge als Fotografien. Sie verbinden sich im Raum. Sie bilden Vorschläge für neue Perspektiven auf das was uns umgibt.

Max Bodenstedt, geboren 1990 in Gießen. Er studierte u.a. an der Bezalel – Academy of Arts and Design, Jerusalem, Israel an der École nationale supérieure des beaux-arts, Lyon, Frankreich und zuletzt am National Institut of Design, Gandhinagar, Indien. Er stellte im Neuen Kunstverein in Gießen aus, im Center for Contemporary Art in Woronesch, Russland, in der Design Gallery NID, Ghandinagar, Indien sowie in der Gallery MMB, Mumbai, Indien. Er hat mehrere Künstlerbücher publiziert wie z.B. M-T, Sun Poem, Schöne Schäume.

„Meine künstlerische Praxis ist das digitale Fotografieren. Die Kamera ist für mich ein alltägliches Utensil und Begleiterin, mit der ich mein Lebensumfeld, die Orte und Räume durch die ich mich bewege und die sie bewohnenden Wesen und Dinge erforsche. Ich verorte mich mit dem Aufzeigen von unterschiedlichsten Perspektiven und Blicken. Es ist mir ein Anliegen diese fotografische Welt zugänglich zu gestalten. Die Blicke sind auf bekannte Objekte wie ein Laubblatt, ein Schlagloch oder eine Kaugummi in einer Pfütze gerichtet. Doch durch die Bildgestaltung und einem Spiel aus Nähe und Distanz verfremden sich die Bilder zu offenen Assoziationsflächen und Zugängen zu fantastischen Welten, die in unerwarteter Nähe liegen. Meine Fotografien sollen die*den Betrachter*in anregen Perspektiven zu hinterfragen und eigene subjektive Blicke zu finden und Wertzuschätzen. Den jeder Mensch blickt einzigartig“.


 





 

 

 

 

 

 

 
 
 
 

 
 
 
Hier aus dem Buch „Immer geht die Zeit viel zu schnell vorbei“:

Vor genau einem Jahr war ich draußen und fotografierte Eiszapfen, die entlang einer Regenrinne wuchsen. Zwei Schulkinder liefen vorbei. Da sagte das eine: „Oh, das ist aber schön!“ Und das andere: „Hast du den Sonnenuntergang gestern gesehen? Ich wünschte ich hätt’ ein Smartphone, dann hätt’ ich ein Foto gemacht und es dir geschickt.“

Am Nachmittag dann machte ich Bilder vom Stamm einer Platane. Der Sommer war so heiß, dass der Baum fast all seine Rinde verlor. Zwei Frauen kamen dazu. Eine fragte: „Was machen sie da?“ Ich antwortete: „Fotos von dem Stamm. Er häutet sich wie eine Schlange.“ Und sie: „Ah ja, machen sie sich mal keine Sorgen. Ich hab das im Internet nach­ geschaut, das ist ein natürlicher Prozess. Vor 20 Jahren gabs das schon mal. Aber da haben sie ja noch nicht gelebt, junger Mann.“ Danach gingen die beiden Frauen weiter.

Es wurde Abend. Es war warm. Vor einem großen Gebäude kreisten kleine Fliegen über den Scheinwerfern der Fassadenbeleuchtung. Ich kniete mich hinunter und versuchte sie im Flug einzufangen. Da rief eine Stimme: „Sie brauchen ’ne Spiegelreflex mit Serienfunktion!“ Ich drehte mich um. Es war eine Polizistin, die vor dem amerikanischen Konsulat Wache hielt. Ich fragte sie: „Haben sie davon Ahnung?“ Sie antwortete: „Ein bisschen. Ich hab mir vor kurzem eine gebrauchte Kamera online gekauft. Und jetzt, wenn ich mit meinem Hund zum See laufe, geht der gern ins Wasser. Und dann nach dem Bad schüttelt der sein Fell trocken. Davon mache ich Fotos und auf jedem kann man die einzelnen Haarbewegungen und Tropfen sehen, wie bei einem Daumenkino.“
 
 
 

 
 

 
 
 
Max Bodenstedts Künstlerbuch »Immer geht die Zeit viel zu schnell vorbei« ist eine aus 91 Bildern bestehende fotografische Langzeitbeobachtung seiner Lebensumwelt, die der Künstler durch die Praxis des Sehens und Sammelns in den Jahren 2019 bis 2021 erarbeitet hat. Das Buch baut auf einer Sequenz von Fliegen, die über Mülltonnen schweben, und der Dokumentation des Baumstamms einer Platane auf. Dazu reihen sich weitere Fotografien von Pflanzen, Insekten, Gehwegen und Stadtmobiliar sowie Niederschlag wie Regen und Schnee. Es verdichten sich, in einer durchlaufenden Sequenz von 91 Fotografien, drei Jahre zu einem. Die Bilder nehmen Grundformen und einfache Kompositionen auf, lösen sich aber immer wieder von nachvollziehbaren Blickpunkten und öffnen in Gegenüberstellung Ansichten von unerwarteten Beziehungen. In diesem Spiel verweisen die Fotografien auf sich selbst als Assoziationsfläche und verdeutlichen ihren Vorschlag für Perspektive.


 
 
 
 
 
Fotobuch mit 91 Farbabbildungen im Offsetdruck,
gestaltet von Paul Bowler und Max Bodenstedt
Umschlag: Siebdruck
mit einem Essay von Marco Dell’Oca (dt./ engl.)
Broschur, 144 Seiten, 19×24 cm, Auflage 400
Erschienen 02/2022
ISBN 978-3-945111-70-3





Photos: Platane (März), Ausstellungsansichten FAK (2,3) K. Jurotschkin
Cover: Lubok Verlag, Leipzig


FAK'22 Öffnungszeiten Fr — So 16 — 19 Uhr (Eintritt frei) Kuratiert von Kristina Jurotschkin und Florian Glaubitz